Der Konflikt zwischen der Zentralregierung und den „ethnischen Staaten“ ist schon fast so alt wie die Geschichte der Republik Burma. Seit den Wahlen vom November 2010 sind die Auseinandersetzungen eskaliert.
Aung San Suu Kyi? Nein, noch nie gehört“, sagt die Alte und schenkt uns ein betelnussrotes Lächeln, bevor sie sich weiter den Töpfen am Feuer in ihrem neuen Heim, einer Bambushütte in einem Flüchtlingslager in Thailand, widmet. „Meine Mutter ist Analphabetin und spricht außer Karenni, unserer Stammessprache, nur wenig burmesisch“, erklärt Suu Meh, die Tochter. Seit fünf Jahren sei sie mit der Mutter hier, weil es in ihrem Dorf nicht mehr zu ertragen war. „Wir hatten nicht viel, aber wir waren frei. Dann verschleppten die Soldaten meinen Bruder und unser Nachbardorf wurde niedergebrannt, weil die Bewohner sich weigerten, es freiwillig zu verlassen. Meine Freundin musste zusehen, wie sie ihre Schwester vergewaltigten und ihren Vater erschossen.“
Ein Drittel der Bevölkerung Burmas, also knapp 20 Millionen, sind so genannte Minderheiten, die in sieben „ethnischen Staaten“ zusammengefasst sind. Sie besiedeln die gebirgigen Randgebiete bereits seit Jahrtausenden. Shan, Karen und Mon sind die größten der über hundert Stämme. Der Staatsgründer Burmas – und Vater der burmesischen Friedensnobelpreisträgerin – Aung San hatte zwar im Staatsvertrag von 1947 die Autonomie der in die Grenzen Burmas einbezogenen „Minderheitengebiete“ garantiert und erhielt damit die Unabhängigkeit Burmas von der britischen Krone. Aber die nach seiner Ermordung an die Macht gekommene Militärelite wollte von der versprochenen Autonomie nichts mehr wissen. Seither sind die Ethnien Gegenstand eines nicht enden wollenden Genozids, der unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit abläuft.
Entlang der burmesisch-thailändischen Grenze gibt es riesige Flüchtlingslager. Mae La ist mit 40.000 Insassen das größte. Die Zahl der intern Vertriebenen, die sich in den bergigen Dschungeln Burmas auf Dauerflucht befinden, wird auf zwei Millionen Menschen geschätzt. Dort, in diesen verminten Wäldern, haben viele noch nie von Aung San Suu Kyi gehört. Die Führer der Minderheiten kennen freilich ihren Namen. Man mag sie und schätzt sie. Aber ihr vertrauen? Es möge schon wahr sein, dass sie den Geist des Vaters in sich trägt, aber Burmane bleibe Burmane, und man habe noch keine positiven Erfahrungen machen können, ist die allgemeine Einstellung.
Unter miserablen Bedingungen haben die widerständischen Ethnien in unzulänglichen Gebieten ihre Hauptquartiere eingerichtet: Unterschlüpfe aus Bambus, dazwischen Schützengräben und unten an den Hängen die Menschen, die sich in ihren Schutz gestellt haben. Hier geht es ums Überleben.
Suu Meh arbeitet für das Karenni-Gesundheitswesen und hilft bei der Koordination der medizinischen Versorgung in den Kriegsgebieten mit. Sie möchte als Hebamme in ihrem Heimatdorf arbeiten. Kein leichtes Unterfangen, da dieses jetzt zur Freifeuerzone erklärt wurde und weder Alte noch Kinder von den Regierungstruppen verschont werden.
Schon Monate vor den Wahlen vom November 2010 verstärkte sich die Repression gegen die Bergvölker. Viele Menschen flohen aus ihren Dörfern. Mit einem einseitigen Vertrag, dem Border Guard Force Treaty (BGF), sollten alle ethnischen Milizen dem burmesischen Militär unterstellt werden. Das Volk der Wa, dessen Führer sich bis vor kurzem mit der Regierung die Profite aus Drogen- und Waffenhandel teilten, war das erste, das die Seiten wechselte und nunmehr sein Gebiet militärisch absichert.
Seitdem gibt es unzählige Fronten. Das gesamte Grenzgebiet zu Thailand steht in Flammen. Thailand schottet seine Grenze ab und beruft sich auf die seit den Wahlen in Burma etablierte angebliche Demokratie. Geschätzte 50.000 Angehörige verschiedener Bergstämme – wahrscheinlich sogar noch viel mehr – sind seitdem zu Wanderern zwischen den Grenzen geworden.
Während in Burma russische Helikopter über den Köpfen der Vertriebenen kreisen, arbeiten deren Führungspersönlichkeiten im Inland und im Exil an einer politischen Lösung. Die Herausforderung, so viele verschiedene Kulturen und Sprachen unter einem Dach zu vereinigen, ist weder neu noch einfach. Seit Beginn des Widerstandes bald nach der Staatsgründung 1948 gab es unzählige Koalitionen militärischer und politischer Art zwischen den Völkern des Landes. Im Februar 2011 wurde nun der United Nationalities Federal Council (UNFC) aus der Taufe gehoben, der für alle Gruppen offen ist. Die zwölf Mitglieder der Koordinierungsgruppe arbeiten an einer Strategie für eine politische sowie militärische Lösung.
Mittlerweile gerät auch das von Burma wirtschaftlich abhängige Thailand (Rohstoffe, Edelhölzer und -steine, Energieversorgung) unter Druck der Regierung in Naypyidaw. Die neue Ministerpräsidentin, die „Klon-Schwester“ des im Exil in Dubai lebenden Ex-Premiers Thaksin, führt nun die Geschäfte des Bruders in dessen Sinne weiter. Dieser hatte bereits vor seinem Sturz große geschäftliche Pläne zur Ausbeutung der Minderheitengebiete Burmas.
Auf Druck der thailändischen Behörden mussten das Büro des UNFC sowie eine große Konferenz im Juli aus Chiang Mai im Norden des Landes an einen anderen Ort verlegt werden.
Aung San Suu Kyi nutzt ihre beschränkte Freiheit unter anderem dazu, internationale Medien auf den eskalierenden Bürgerkrieg aufmerksam zu machen. Ende Juli schickte sie einen offenen Brief an die Regierung und die großen bewaffneten Minderheiten, in dem sie beide Seiten zu einer Waffenruhe mit anschließendem politischen Dialog aufforderte.
Ein Sprecher des UNFC begrüßte eine Zusammenarbeit mit der Oppositionsführerin, die er auch als Vermittlerin zwischen den verhärteten Fronten willkommen hieß. Der direkte Kontakt zu ihr wird allerdings seitens der burmesischen Regierung unterbunden.
Suu Meh rückt ihren Rucksack mit medizinischer Notversorgung zurecht. Ihr Wunsch geht in Erfüllung. Mit einer kleinen Gruppe von Flüchtlingen tritt sie die Reise in ihr Heimatdorf an. „Die einzige wahre Freiheit ist die Freiheit von Angst – das ist die Botschaft Aung San Suu Kyis an uns. Ich habe keine Angst, ich werde mutig sein wie sie und auf friedlichem Weg weiter meinem Volk in Not helfen, soweit es mir möglich ist“.
Gabriele Schaumberger ist seit über zehn Jahren in der Burma-Solidarität tätig (www.burmahilfe.org) und hielt sich mehrmals zu Arbeitseinsätzen im thailändischen Grenzbereich zum südlichen Burma auf.
Auf Youtube gibt es eine Arte-Reportage über die Unterdrückung der ethnischen Minderheiten durch die Regierung – bereits von 2005, aber leider immer noch aktuell: www.youtube.com/watch?v=hM3oCgcCIp4
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